Die Zirbelkiefer oder Arve, wie sie genannt wird, wächst in den Zentralalpen und in den Karpaten. Bergbewohner nennen die elegante, widerstandsfähige Zirbelkiefer, Pinus cembra ehrfurchtsvoll »Königin der Alpen«. Ihr Reich ist im obersten Stockwerk der Alpen, wo sie die Bergregionen zwischen 1500 und 2400 Metern, einzelne Exemplare sogar bis 2850 Meter hoch, besiedeln. Am Hochzeiger im Pitztal befindet sich der größte zusammenhängende Zirbenwald Nordtirols. Ich besuchte die Zirbelkiefer im Hochzeiger Zirbenpark und ging dann weiter auf dem Zirbenweg.
Zirbelkiefer – Pinus cembra am Hochzeiger Zirbenpark

Was liebt die Zirbelkiefer?
Ihre Majestät fühlt sich am wohlsten in geselligen Gruppen, vielerorts mit Lärchen und Ebereschen. Dazwischen wächst eine Zwergstrauchvegetation mit Legeföhren, immergrünen Alpenrosen und duftendem Kriechwacholder. Die Zirbelkiefer trotzt extremen Stürmen, sie erträgt Temperaturen von minus 40 bis plus 40 Grad Celsius. Solche Temperaturunterschiede vertragen andere Baumarten nicht. Ihr Habitus ist im Jugendstadium schlank, ihr Wuchs kegelförmig und die Äste reichen im freien Stand fast bis zum Boden. Häufig sind Zirbelkiefern von Blitzeinschlägen gezeichnet. Alte Recken bilden vom Sturmwind gebogene, bizarre Baumkronen mit mehreren Gipfeltrieben. Die ältesten Exemplare in den Alpen werden bis zu 1000 Jahre alt.
Die Zirbelkiefer hält extreme Bedingungen aus?
Der Stamm der Zirbelkiefer hat eine rissige, harzige Borke, die vor Kälte isoliert und die die Leitungsbahnen des Kambiums schützt. Die Zweige und Nadeln der Zirbelkiefer fühlen sich weich und sanft an. Die millimeterdünnen Nadeln sind bis zu 10 Zentimeter lang, dreikantig, mintgrün, mit einem dünnen Silberstreif in der Mitte und jeweils zu fünft wie in einem kleinen Pinsel gebündelt. Zum Schutz vor Austrocknung und UV-Strahlung sind die Nadeln mit einer hauchdünnen Wachsschicht überzogen. Manch ältere Zirbelkiefer ist überladen mit langen Bartflechten. Der ausgeprägte Flechtenbewuchs ist ein Anhaltspunkt für saubere Luft. Erste Blüten und Zapfen bildet die Zirbelkiefer im jugendlichen Alter von 60-70 Jahren. Zirbelkiefern sind einhäusig getrenntgeschlechtlich. Männliche und weibliche Blüten sind getrennt an ein- und demselben Baum zu finden. Die Pollenbestäubung geschieht durch den Wind. Die jungen, lilafarbenen Zapfen sind harzig, intensiv duftend und benötigen ein bis zwei Jahre zur Reife.
Im Pitztaler Zirbenwald
Tannenhäher verbreiten die Samen der Zirbelkiefer
Die meisten Zapfen fallen nicht von selbst vom Baum, sondern werden vom Tannenhäher geholt und zu einer »Zapfenschmiede« transportiert. Das sind Steine, Baumstümpfe oder Astgabeln, wo der Tannenhäher den harten Zapfen einklemmt und mit seinem kräftigen Schnabel die Samenkörner heraushämmert. Entlang des Zirbenweges findet man Zapfenhülsen. Samen anderer Zapfenträger (Koniferen) haben Wind- oder Schwimmflügel, die das Samenkorn forttragen können. Die Verbreitung der bis zu einem Gramm schweren Zirbelnüsse (Samen) geschieht bei der Zirbelkiefer ausschließlich durch Tiere: Eichhörnchen, Spechte, Eichelhäher, Rötelmaus und Tannenhäher warten ab August auf die schmackhaften Zirbelnüsse, um damit versteckte Lagerplätze für den Wintervorrat anzulegen.
Eine gewinnbringende Lebensgemeinschaft
Der Tannenhäher und die Zirbelkiefer leben in Symbiose. Wissenschaftler beobachteten ein Jahr lang eine Häherfamilie. Zusammen haben die vier Vögel 50 000 Zirbelnüsse verteilt. Im Kehlsack transportiert ein Tannenhäher 30-70, manchmal bis zu 100 Zirbelnüsschen. Per Luftfracht werden die Samen etwa 15 Kilometer weit und über einen Höhenunterschied bis zu 600 Metern verbreitet. Bis zu 10 000 Lager mit Zirbelnüssen legt ein Tannenhäher pro Jahr an. Häufig steckt er die Zirbelsamen hinter Felskanten oder in Felsspalten, an Stellen, wo er sie unter hoher Schneelage leichter wiederfindet. In vergessenen Depots keimen später die Zirbelkiefern. »Aber er versteckt die Samen da, wo sie weniger leicht keimen. Während Zirbelkiefersamen feuchten Boden und Licht brauchen, um aufzugehen, vergräbt der Tannenhäher sie dort, wo der Boden trocken und das Kronendach relativ dicht ist“, erklärt Dr. Eike Lena Neuschulz, Biologin am LÖWE Biodiversität und Klima Forschungszentrum (BiK‐F) und Hauptautorin der Studie. Sie hat mit Kollegen der eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) das faszinierende Verhalten des Vogels monatelang studiert«.
Der Tannenhäher hat beeindruckende Fähigkeiten
Man vermutet, dass der Tannenhäher sich die Koordinaten markanter Punkte merkt, wo er die Zirbelnüsse vergräbt. Im Winter »taucht« der Tannenhäher im Sturzflug durch die Schneedecke, buddelt dann schräge Tunnels, um die versteckten Futterdepots zu finden. 80 Prozent seiner Verstecke findet er wieder, die restlichen Zirbelnüsse (20 Prozent) keimen und sichern die Naturverjüngung der Zirbelkiefer. Man nimmt an, dass jede zweite Zirbelkiefer durch die Partnerschaft mit einem Tannenhäher entstanden ist. Ohne den Tannenhäher gäbe es in den Alpen viel weniger Zirbelkiefernwälder. Die nährstoffhaltigen Zirbelnüsse liefern genügend Energie, damit der Zirbelkiefer Keimling, während der kurzen, nur 70 Tage dauernden alpinen Vegetationszeit eine Starthilfe bekommt. Sie bilden beim Heranwachsen kräftige Wurzeln, die den Felsblock fest umklammern und später ins Erdreich eindringen.
Der Tannenhäher – Nucifraga cariocatactes pflanzt die Zirbelkiefer



Im Sägewerk von Sepp Reinstadler
Im Tal, am Ufer der Pitztaler Aache besuchen wir Sepp Reinstadler. Das kleine Sägewerk hat er von seinen Vorfahren geerbt. Er verarbeitet die Zirbelkiefer nicht nur zu Brettern und Möbelholz. Den Sägewerksbetrieb hat er umgestellt auf Zirbelkieferprodukte. Er nutzt Stämme, die Blitz und Sturm zum Opfer gefallen sind. Mit zwei umgebauten Destillen stellt Sepp Zirbenöl her, das vor Ort in einem kleinen Ladengeschäft verkauft wird. Aus dem Holz entstehen Zirbenprodukte, Brotkästen und Drechselwaren. Bei einer Betriebsführung erfahren wir Interessantes über die wohltuende Wirkung von Zirbenöl und dessen Anwendung in der Volks- und Naturheilkunde.


Was kann die Zirbelkiefer?
Was viele ahnten, wurde jetzt wissenschaftlich nachgewiesen. Menschen fühlen sich entspannter und sind gelassener in Räumen mit Zirbelholz, sie haben einen ruhigeren Schlaf und eine wirksamere Erholung. Das ist das Ergebnis einer wissenschaftlichen Studie von Univ. Prof. Dr. Maximilian Moser am Grazer Joanneum Research Institute. Moser: »Im Schlaf zeigte sich eine deutlich bessere Schlafqualität im Zirbelholzbett im Vergleich zu einem Holzdekorbett. Die Nachterholung geht mit einer reduzierten Herzfrequenz und einer erhöhten Schwingung des Organismus im Tagesverlauf einher. Die durchschnittliche „Ersparnis“ im Zirbelholzbett lag bei 3500 Herzschlägen pro Tag, was etwa einer Stunde Herzarbeit entspricht.«
Zirbenholz tut gut

Zirbenholz duftet
In den Alpen liefert die Zirbelkiefer seit jeher hochwertiges Holz. Zirbelholz ist warm und weich, es strahlt Ruhe aus und duftet viele Jahre, nachdem es verarbeitet wurde. Eingewachsene Äste lugen wie große Augen aus dem Brett und geben dem Zirbelholz eine gewisse Lebendigkeit. Es ist leicht, mit schmalem gelblichem Splint- und rötlichem Kernholz. Es wird im Alpenraum wegen des wohltuenden Dufts gern für Bauernstuben, Inneneinrichtungen, für Schlafzimmermöbel, zur Herstellung von Truhen, Betten, Kinderwiegen und Drechselwaren genommen. Außerdem für Behälter zur Aufbewahrung von Lebensmitteln. Brot hält länger frisch und Schimmelpilzbildung wird wirksam unterbunden.
Der Zirbenpark am Hochzeiger ist eine Attraktion für Familien
Mit unserem Guide Elmar Huter wandern wir durch den Zirbenpark und danach geht es weiter auf dem Zirbenweg zur Kalbenalm. Der Zirbenwald am Hochzeiger wird seit Generationen geschätzt und geschützt. Er gewährleistet als Bannwald Schutz der darunter liegenden Siedlungen und gibt Sicherheit vor Muren und Lawinen.
Nahe der Hochzeigerbahn Mittelstation wurde der Zirbenpark als Familienattraktion angelegt. Der Zirbenpark zeigt den ganzen Kreislauf der Zirbelkiefer, vom Keimstadium über natürlich wachsende Zirben am Wegesrand bis hin zu seiner Verarbeitung. Ein breiter Wanderweg mit 15 Info-, Spiel- und Erlebnisstationen führt durch den ein Kilometer langen Zirbenpark. Kinder können Zirbelnüsse in Hochbeete stecken. Im Zirbenpark sind kleine Bachläufe, Holzrinnen, Spielstationen und Teiche, die Kinder zum Spielen, Plantschen und Wasserspritzen anregen. Höhepunkt ist der zwölf Meter hohe »Zirbenturm« mit einer Aussichtsplattform und einer Rutsche.
Nach dem Zirbenpark folgen wir dem Zirbenweg über die Tanzalm bis zur Kalbenalm und weiter zum Gipfel des Sechzeigers.
Pitztal – Zirbenpark am Hochzeiger
Zirbenholz zum Schnitzen für Kunstgegenstände
Das weiche Holz der Zirbelkiefer ist begehrt für Schnitzarbeiten. Die Fachschule für Kunsthandwerk und Design (Schnitzschule Elbigenalp) pflegt engen Kontakt mit der Gemeinde Jerzens. In der Schnitzschule wird für die Schnitzarbeiten überwiegend weiches Holz der Zirbelkiefer verarbeitet.

Zirbenmuseum in Jerzens:
Im Gemeindehaus in Jerzens ist das Zirbenmuseum eingerichtet. Ein Rundgang erklärt die Biologie der Zirbelkiefer und die Schutzfunktion des Zirbenwaldes oberhalb von Jerzens. Die Ausstellung in Jerzens „Zirbe – Grenzgängerin mit Talenten“ entführt die Besucher in die faszinierende Welt der Zirbelkiefer. Vom Keimen bis zum Fällen. Jeder Lebensabschnitt dieses Baumes birgt Details und Zusammenhänge, die den Besucher zum Staunen bringen. Außerdem zeigt die sehenswerte Ausstellung, wie die Zirbelkiefer als Nutzholz und wie ihre Produkte im Gesundheitsbereich eingesetzt werden.

Zirbenschnaps ist das Kultgetränk des Pitztals:
Das Rezept ist schnell erklärt. Im Juli werden die jungen, lila-rötlichen und weichen Zapfen der Zirbelkiefer geerntet. 3-4 zapfen werden in Stücke geschnitten und in ein Glas gegeben. Dazu kommt grober Kandiszucker und 40 prozentiger Korn. An die Sonne gestellt und täglich bewegt, färbt sich der Inhalt bald rot. Nach vier bis fünf Wochen wird der fertige Zirbenschnaps abgeseiht und in kleinen Glasflaschen gern als regionales Präsent verschenkt. Bis 23. August finden im Zeigerestaurant “Zirben-Kulinarik-Workshops” statt.
Ein Kaiserschmarrn oder ein herzhaftes Tiroler Speckbrot mit einem Glas Rotwein, dazu als Aperitif ein Stamperl Zirbenschnaps- das gehört für mich zu einem gelungenen Bergurlaub dazu.

Die Zirbelkiefer im Hausgarten:
Für schmale Hausgärten ist die Zirbelkiefer bestens geeignet. Sie gedeiht in niederen Lagen ohne Probleme, wächst langsam, hat einen schlanken Wuchs und verträgt Luftverschmutzung in Städten.
Zirbenweg am Hochzeiger
Im Anschluss an den Zirbenpark wandern wir auf dem Außerwald- oder Zirbenweg weiter. Die erste Pause legen wir bei der nahegelegenen Tanzalm ein. Über eine Milchpipeline fließt hier täglich frische Milch ins Tal zur Molkerei. Der Wanderweg führt in Serpentinen leicht ansteigend weiter zur Kalben Alm. Im lichten Zirbenwald schrecken wir den Tannenhäher auf, der laut krächzend uns schimpfend davonfliegt. Nach ca. einer Stunde ist die Kalben Alm erreicht. Die kleine, urige Hütte liegt auf 2117 Metern. Der Hirte Klaus Schrott betreut das Jungvieh, nebenbei macht er Schnitzarbeiten. Den selbstgemachten Kuchen von Familie Schrott lassen wir uns nicht entgehen, bevor wir zum Sechzeigergipfel weiterwandern. Oben haben wir die Wahl: Zurück mit der Sesselbahn, zu Fuß oder mit dem Roller. Wir nehmen das »Zirbencart« und brausen auf einem staubigen Trail zur Mittelstation der Hochzeigerbahn hinunter.
Zirbenwälder am Pitztaler Almenweg
Er verbindet die Sulberg Alm, Mauchele Alm, Neuberg Alm, Tiefental Alm und die Arzler Alm am Naturpark Kaunergrat miteinander. Die Wege sind mittelschwer bis schwer, die Gehzeiten von Alm zu Alm betragen ca. 45 Minuten bis zu 2,5 Stunden. Dieser Wanderweg wurde auf Initiative von Franz Strobl und dem Pitztaler Tourismusverband angelegt. Er führt knapp über der Baumgrenze von ca 1800 Metern durch Zirbelkiefer- und Almregionen. Der Wanderer begegnet typischer Flora und Fauna der Kaunergratregion. Mit einem Busshuttle kann man sich den langen Abstiegsweg von der Alm erleichtern.
Schweiz: Zirbenwald God a Tamangur
In einem Seitental des Unterengadins befindet sich der Zirbenwald von God da Tamangur. Er ist der höchstgelegene Arvenwald Europas und Schweizer Nationaldenkmal. Bis auf 2500 Meter wachsen dort knorrige Zirbelkiefern, manche davon sind über 700 Jahre alt.
Weitere Tipps
Infos zu weiteren Zirbenwegen gibt es auch bei meiner Bloggerkollegin Nadine Ormo im lesenswerten Blog Kulturnatur.de. Der Innsbrucker Zirbenweg hat den Weg in das Buch “Waldwunder” vom DuMont Reiseverlag gefunden, das im Sommer 2018 erschienen ist und zu dem Nadine drei lesenswerte Geschichten beigesteuert hat.
Anreise:
Mit der Bahn Von München bis Imst, dann weiter mit dem Postbus ins Pitztal. Mit dem Pitztaler Freizeitpass (5 Euro) können Gäste für die Dauer des gesamten Aufenthalts das komplette Busnetz nutzen.
>Für Baumliebhaber hier mein Blogartikel über die Esskastanie
