Der Urwaldsteig verläuft im Wechsel von Wasser- und Waldlandschaften auf und ab über fünfzig Hügel die sich um den Edersee ranken. Der Wanderer kann an verschiedenen Orten, ein- und aussteigen. Schützenswerte Kernzonen des Waldes dürfen nicht betreten werden. Dort entstehen Refugien für aussterbende und bedrohte Arten. Solche »Inseln« für den Artenschutz sind in heutiger Zeit wichtig. Wegen seiner großflächigen Buchenbestände wurde im Jahre 2004 der Nationalpark Kellerwald-Edersee mit 5.700 Hektar unter Schutz gestellt. Wir erkunden ein Stück des Urwaldsteiges mit dem Ranger Markus Daume vom Nationalpark Kellerwald-Edersee.
Der Nationalpark Kellerwald-Edersee ist UNESCO Weltnaturerbe

Wandern auf dem Kellerwald Urwaldsteig
Vom Hotel in Bringhausen steigen wir am frühen Morgen zu einem Stellplatz am Rande des Nationalparks. Auf einer Infotafel sieht man, dass der Edersee wie ein norwegischer Fjord in der Landschaft liegt. Der umliegende Buchenwald ist riesig, weder Siedlung noch Fernstraße zerschneiden ihn. Das ist in unserem dicht besiedelten Land kaum anzutreffen. Ich suche nach Aussichtspunkten zwischen den bewaldeten Hügeln, um Bildmotive zu finden. Zuerst wandern wir auf dem »Warzenbeißer Kunstweg«. Der Warzenbeißer (Decticus verrucivorus) ist eine aussterbende Heuschreckenart, die hier zu finden ist. Land-Art-Künstler haben auf der ganzen Länge des Weges Objekte aufgestellt. Sie beschäftigten sich mit der Natur und setzen Akzente der Besinnung. Ihre Werke sind schon in die Jahre gekommen und teils von Pflanzen und Gebüsch überwuchert. Der zwölf Meter lange »Gebärtunnel«, eine wachsende Skulptur aus Buchenholzgeflecht und Hainbuchensetzlingen von Leo Handler, fordert mich zum Durchgehen auf. Ich taste mich zaghaft mitten durch den halbzugewachsenen Hainbuchentunnel. Die Hainbuchenskulptur versinnbildlicht das veränderbare Leben. Der Pflanzentunnel soll Klarheit geben und für Entschleunigung sorgen, wenn es nach dem Künstler geht.
Vollkommen entschleunigt und im Zeitlupentempo kreuzt ein 15 Zentimer langer Feuersalamander meinen Weg. Er sucht nach einem feuchten Platz in diesem heißen Sommer. Mehr als 1000 Quellen hat man im Kellerwald gezählt. Das ist der ideale Lebensraum für den überwiegend nachtaktiven Feuersalamander. Quellen und Bäche sind die Kinderstube dieser gelbleuchtenden Lurche. Ihre Larven bilden sich im Mutterleib und werden im Frühling sanft ins Wasser gesetzt.
Den Kellerwald erleben
Wir erleben den Urwaldsteig auf gut ausgebauten Wanderwegen, die uns immer wieder schöne und abwechslungsreiche Waldbilder bescheren. Man darf sich aber nicht vorstellen, dass ständig Tiere unseren Weg kreuzen. So spektakulär wie der Nationalpark Kellerwald-Edersee in vielen Naturfilmen gezeigt wird, erlebt man den Wald als Wanderer nicht. Dem normalen Besucher bleibt die geheimnisvolle Tierwelt des Nationalparks meist verborgen. Dafür sind wir zu spät losgegangen, wir reden zu laut und unter unseren Füßen knacken die Äste. Das merken die Tiere und verziehen sich. Wir wandern und haben ein Ziel vor Augen. Wenn wir es auf Tierbeobachtung abgesehen hätten, müssten wir früher aufstehen, leise pirschen wie ein Jäger und mit dem Fernglas Ausschau halten. Oder wir müssten Geduld aufbringen wie ein Tierfotograf. Deswegen besuchen wir nach unserer Tour das Nationalparkzentrum Kellerwald-Edersee bei Vöhl-Herzhausen. Dort sehen wir in eindrucksvollen Naturdokumentationen die faszinierende Tierwelt des Kellerwald-Edersee Gebietes.
Fotoimpressionen vom Nationalpark Kellerwald-Edersee
Deutschlands Buchenwälder sind schützenswert.
Deutschland ist Waldland. “Rund ein Drittel unseres Landes sind von Wäldern bedeckt”, erklärt Markus Daume, Ranger des Nationalparks. Würde der Mensch nicht eingreifen, wäre die robuste Rotbuche, Fagus sylvatica, die dominierende Baumart. Deutschland wäre zu 90 Prozent bewaldet und überwiegend mit Buchen bewachsen. Die Rotbuche stammt ursprünglich aus der Mittelmeerregion. Im Laufe der Jahrtausende kam sie über die Alpen und besiedelte Deutschland. Die Buche breitete sich von den Mittelgebirgen über das Flachland bis nach Rügen aus. Dort kletterte sie bei Jasmund über die Kreidefelsen zum Meer hinunter und wurde nur von der Ostsee gestoppt. Später überwand sie das Meer und siedelte sich in Südschweden und in England an. Die Buche wird mehr als 300 Jahre alt und ist ein Alleskönner, denn sie wächst auf Kreide-, Kalk-, Tonschieferböden und auf Granit. Die schattenverträgliche Baumart kämpft sich durchs dichte Unterholz, um Eines Tages, wenn man sie lässt, die Herrschaft über den Wald zu übernehmen. Sie gehört zu den Baumarten, die nach der letzten Eiszeit die Wälder Europas entscheidend mitgeprägt hat. Der Buchenanteil macht in unseren Wäldern nur 14 Prozent der Fläche aus. Richtige Urwälder gibt es bei uns nicht mehr, nur noch wenige Urwaldrelikte. Lediglich 0,5 Prozent der deutschen Waldfläche stehen unter Naturschutz. Mit dem Klimawandel kommt die Rotbuche besser zurecht als Fichtenkulturen.
Der Kellerwald ist UNSECO-Weltnaturerbe
Ranger Markus Daume sperrt für uns ein Gatter auf und wir treten ein in die UNESCO-Weltnaturerberegion. Sanft steigt der Weg den Hang hinauf. Es sieht hier aus wie in einer weiträumigen Parklandschaft. Wuchtige Solitärbuchen stehen in einer Waldlichtung. Heuer haben die Bäume zu viele Bucheckern gebildet. Das ungewöhnlich warme Jahr bringt die Bäume dazu, viele Früchte zu bilden, um für Notzeiten genügend Nachwuchs zu haben.
Frau Säufert und Markus Daume vom Nationalpark Kellerwald-Edersee erklären die Besonderheit des UNESCO-Weltnaturerbes. Die Buchenwälder sind für Europa einmalig, unwiederbringlich und haben herausragende Bedeutung für die Nachwelt. Deswegen hat die UNESCO im Jahre 2007 schützenwerte Buchenwaldgebiete mit dem Titel Weltnaturerbe ausgezeichnet. Dazu gehören die Nationalparke: Hainich, Kellerwald-Edersee, Jasmund und Müritz, sowie das Waldgebiet Grumsin im Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin. Sie stehen für die Reste natürlicher Buchenwälder in Deutschland. Ein Weltnaturerbe muss echt, einzig und unversehrt sein. Genau dies ist an diesem Standort im Kellerwald gegeben. An einigen Standorten, besonders an steilen Hanglagen, wurde niemals Forstwirtschaft betrieben. Es gibt »Zeigerarten«, Pilze, Käfer- und andere Insektenarten, die dort noch vorkommen. Diese Arten sind nicht mobil und lebensnotwendig auf diesen Standort angewiesen. Wird der Wald hier gefällt, dann sterben sie für immer aus.
Kostbare Buchenwälder des Nationalparks Kellerwald-Edersee
Naturvielfalt im Nationalpark Kellerwald-Edersee
Der typische »bodensaure Hainsimsen- oder Perlgras- Buchenwald« wächst auf Grauwacke und Tonschiefer. Das sind Gesteine, die rund 350 Millionen Jahre alt und aus Sedimenten entstanden sind. In nährstoffreichen Senken gedeiht die Buche am besten, dort entstehen hohe »Buchendome«. Im Sommer kommt unter ihrem dichten Blätterdach kaum Sonnenlicht auf den Waldboden. Im Frühling hingegen explodiert hier das Leben. Die Sonne sendet ihre Strahlen durch lichtgrüne Buchenblätter und treibt Frühlingsblüher wie den Lerchensporn, den nach Knoblauch duftenden Bärlauch, Waldmeister und viele andere Frühlingsblüher zur vollen Blüte an. An den trockenen, steinigen Hängen des Kellerwaldes bilden Buchen hingegen einen kleinen, knorrigen Habitus aus. In feuchteren Gebieten stehen Schwarzerlen und es gibt einzelne Regionen mit Lindenbäumen. Der Kellerwald und seine Lebensgemeinschaften sind artenreich. Hier leben seltene Hirschkäfer, sechs Specht- und fünfzehn Fledermausarten. Es gibt die Wildkatze und über 1100 Käfer- und Insektenarten. In den Baumkronen brüten der Schwarzstorch, der Wespenbussard und Milane.
Natur, Natur sein lassen.
Der ursprüngliche Wirtschaftswald wird seit 2004 nicht mehr angetastet. Er steht im Nationalpark unter »Prozessschutz«. Im Nationalpark gibt es keine Jagd und keine Forstwirtschaft. Die natürliche Entwicklung wird unterstützt, wissenschaftlich begleitet und erforscht. Echte Wildnis darf wieder entstehen. Bäume stürzen um und die Stämme vermodern über lange Zeiträume. Der Wald verwandelt sich in einen Urwald zurück, wie er einst vor der Römerzeit war, als überall in Deutschland dichte Primärwälder standen.
Der Schwarzspecht ist ein schlauer Fuchs
Am Rucksack trägt unser Ranger einen Schwarzspecht als Maskottchen mit sich. Der Schwarzspecht mit seinem roten Käppi ist der größte aller Spechtarten. Am liebsten baut er seine Nisthöhlen in Buchenstämme. Ranger Markus Daume: »Der Specht ist ein schlauer Fuchs. Er bohrt erst Löcher in den Stamm und wartet, bis die Insekten kommen. Insekten und Pilze machen den Baumstamm marode. Dann baut er seine Bruthöhle für die Jungenaufzucht aus. Wenn die Spechtfamilie ihre Wohnung verlässt, nutzen später bis zu 70 andere Tierarten die verlassene Spechthöhle für ihre Jungenaufzucht. Darunter sind etliche Fledermausarten, Eichhörnchen, Siebenschläfer, Kleiber und Meisen, die Hohltaube, Hornissen, Wespen und Wildbienen uva”.
Nach der Mittagspause zur Wolfsgrube
Bei der Bathildishütte gibt es eine Mittagspause. Im Anschluss fahren wir weiter mit dem Planwagen über die Quernstkapelle zur neuen Nationalparkeinrichtung Kellerwalduhr. Vom Planwagen aus sehen wir eindrucksvolle Waldbilder und stoppen bei der Wolfsgrube. Wenige Meter vom Forstweg entfernt ist eine tiefe Kuhle im Wald. Bei der ländlichen Bevölkerung früherer Jahrhunderte war der Wolf gefürchtet. Er richtete große Schäden beim Vieh an und im Wald war er »Beutekonkurrent« für den Menschen. Bis um das Jahr 1500 bauten sie sog. Wolfskaulen, darin platzierten sie Pferdekadaver um Wölfe in die Fallgruben zu locken. Schusswaffen gab es damals nicht. Sie töteten die Beutegreifer mit langen Lanzen . Der letzte Wolf wurde im schneereichen Winter 1819-1820 im Fürstentum Waldeck geschossen. Heute ziehen gelegentlich einzelne Wölfe durch ihr angestammtes Gebiet oder sind sie vielleicht schon wieder da? Im nahe gelegenen Kassel ist das Gebrüder-Grimm-Museum. Es könnte sein, dass Grimms Märchen alle im zauberhaften Kellerwald ihren Ursprung haben.
Die Region Kellerwald-Edersee umweltfreundlich mit Bahn und Bus bereisen.

Meine Tipps:
Edersee Staumauerbesichtigung mit einer Führung über die 400 Meer lange Staumauer. Sie erfahren alles über den Bau der Staumauer. Hintergründe von der wechselvollen Geschichte des Ederales und die Entstehung des Edersees.
Basdorfer Hutewald: Die Haltung von Schwäbisch Hällischen Huteschweinen ist eine alte Nutzungsform. Früher wurden Hausschweine zur herbstlichen Mast in den Hutewald getrieben. Die Schweine ernährten sich von reifen Bucheckern, Eicheln oder Esskastanienfrüchten. In vielen Dörfern gab es Schweinehirten, die morgens die »Sau raus ließen«, um sie auf die Weide zu führen. Schweinemast war fester Bestandteil des alten Dorf- und Kulturlebens. Das neue Projekt mit der alten Haustierrasse ist eine Attraktion des Kellerwaldes. Es gibt Events und kulinarische Veranstaltungen »Basdorfer Schweinereien«. Mehr dazu finden sie hier:
Kontakt: Verein Basdorfer Hutewald e.V., Brunnenstraße 10, 34516 Vöhl-Basdorf, Telefon: 05635 596

Innere Einkehr: Im Mittelalter befand sich auf der Quernsthöhe ein Dorf namens Quernhorst mit einer Kirche, die um 800 auf einem alten germanischen Heiligtum, einem heiligen Hain, errichtet wurde. Sie war fast bis zur Reformation, die hier 1526 eingeführt wurde, die einzige Kirche der zahlreichen Kellerwalddörfer. Nach 1400 wurde der Ort verlassen und das Gotteshaus verfiel. Jahrhundertelang war die Kirchenruine vom Wald überwuchert. In Zusammenarbeit mit der evangelischen Gemeinde von Frankenau und mit Architekt Manfred Quel wurde diese Kapelle erbaut. Im Jahre 2006 gab es die feierliche Eröffnung. Die Quernst-Kapelle erinnert an das verlassene Dorf, welches hier stand. Heute ist sie Ziel und Anlaufstelle für viele Wanderer und Langläufer.
Entspannt reisen – mach Urlaub vom Auto
Werbung: Kostenlose Gäste-Tickets vor Ort. Anreise mit der Bahn über Kassel bis Bad Wildungen. Vor Ort gibt es ein flächendeckendes Netz aus Bus, Bahn und Anruf-Sammel-Taxi (AST), um umweltfreundliche Mobilität zu gewährleisten. Jeder Übernachtungsgast bekommt die Gästekarte »Meine Card« gratis. Damit fahren Sie mit Bus, Bahn oder dem Sammeltaxi bequem und kostenlos in der ganzen Region des Kellerwaldes. Mehr Informationen bei Fahrtziel Natur.
Wandern mit BUND-Reisen
Werbung: BUND-Reisen bietet Wanderreisen in den Kellerwald an. Der Ausgangspunkt ist in Frankenau, hier starten alle Wandertouren. Die Hin- und Rückfahrten werden mit dem ÖPNV organisiert.
Wildtierpark: Den Luchs, die quirlige Fischotter, die Wildkatze, den Wolf und andere Tiere die im Nationalpark leben kann man hier aus der Nähe betrachten. Daneben gibt es eine Greifvogel-Flugschau mit Gänsegeier und Adlern. Den Wildtierpark sollten sie unbedingt besuchen.
Vor Ort mobil – die kostenlose Gästekarte macht es möglich.

“Fahrtziel Natur” hat mich eingeladen. Das ist eine Gemeinschaft von Organisationen, die sich für nachhaltigen Tourismus engagieren. Dazu gehören Bund Naturschutz (BUND), Naturschutzbund Deutschland (NABU), Verkehrsclub Deutschland (VCD, die Deutsche Bahn (DB). Danke auch an den Tierfotograf Manfred Delpho. Von ihm stammen drei Aufnahmen.
Hallo,
ein interessanter Bericht und tolle Fotos. gut finde ich auch den Hinweis, dass man all die Tiere, die man in Naturdokus sieht, nicht zu Gesicht bekommt, wenn man selbst mal ein Wochenende vor Ort ist. Das vermeidet sicher so manche Enttäuschung.
Zum Edersee möchte ich auch mal hin, hat sich bisher aber noch nicht ergeben, aber man muss ja auch noch Ziele haben 🙂